Nicht einmal ein halbes Prozent. Das ist der Beitrag der deutschen Rüstungsindustrie an der deutschen Wirtschaftsleistung. Dieser soll zukünftig massiv gesteigert werden. Einige sprechen bereits von einer neuen Boombranche oder von einem neuen deutschen Jobmotor. Denn Unternehmen wie Rheinmetall, Renk, MBDA, Hensoldt und Kraus-Maffei Wegmann bauen ihre Produktionskapazitäten seit drei Jahren im großen Umfang aus. Und sie brauchen zusätzliches Personal. Wie aber die erforderlichen Fachkräfte finden, wenn branchenübergreifend enorme Personallücken bestehen? Einzelne Rüstungskonzerne sehen in der kriselnden Autoindustrie eine Chance. Warum das laut Experten nicht reichen wird, diskutieren wir in diesem Artikel.
Inhalt
- Fachkräftemangel in der Rüstungsbranche: Daten und Fakten
- Von Krisenwerken zu Rüstungsschmieden: Die Übernahmewelle
- Stellenboom in der Rüstungsindustrie: Wer wird gesucht?
- Auto2Defence: Von Autobauern zu Panzerbauern
- Die Grenzen der Branchenumschichtung: Warum es nicht so einfach ist
- Fazit
- FAQs
Fachkräftemangel in der Rüstungsbranche: Daten und Fakten
Europa will massiv in sein Militär investieren, um seine Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Hierzu muss die Rüstungsbranche ihren Manufakturbetrieb skalieren und Hunderttausende neue Stellen schaffen – und natürlich auch besetzen. Gerade Letzteres dürfte schwierig werden, da europaweit bis zu 760.000 Fachkräfte fehlen könnten.
Europäischer Fachkräftemangel in der Rüstungsbranche in Abhängigkeit vom NATO-Ziel
Quelle Zahlen: Spiegel Online
Grafik: WK Personalberatung
Steigern die NATO-Staaten beispielsweise ihre Rüstungsausgaben lediglich moderat, um dem „alten“ NATO-Ziel von 2 Prozent des BIPs gerecht zu werden, würden in Europa über 160.000 Fachkräfte fehlen. Bei einer Steigerung von 2,5 Prozent 460.000, bei 3 Prozent bereits 760.000; bei der aktuell diskutierten Steigerung von 3,6 Prozent sogar 1.118.200 (eigene Hochrechnung auf Grundlage der prognostizierten Zahlen). Am stärksten wird die Fachkräftenachfrage in Deutschland, Polen und das Vereinigte Königreich ansteigen. In Deutschland werden allein die aktuell geplanten Investitionen in die Rüstungsindustrie mehr als 137.000 neue Arbeitsplätze erforderlich machen.
Die wichtigsten Berufsfelder in der Rüstungsbranche
Quelle Inhalt: Index Research via FAZ
Grafik: WK Personalberatung
Vorausgesetzt, dass sich die Struktur der Rüstungsausgaben nicht ändern wird – in Zukunft also genauso viele Waffen von den USA gekauft werden. Danach sieht es aber nicht aus: Die EU plant, ihre rüstungspolitische Abhängigkeit von den USA deutlich zu verringern. Und das bedeutet eine drastische Steigerung der europäischen Produktion, die den Fachkräftemangel in der Rüstungsbranche zusätzlich verschärfen wird.
Von Krisenwerken zu Rüstungsschmieden: Die Übernahmewelle
Die Rüstungsindustrie selbst hat bereits auf die Ankündigung neuer Investitionen reagiert und kauft kräftig frei werdende Kapazitäten bei schwächelnden Branchen auf, um ihre Kapazitäten schnell hochzufahren.

So hat Branchenprimus Rheinmetall Anfang 2025 angekündigt, zwei Fabriken in Berlin und Neuss, in denen bislang Autoteile hergestellt wurden, zu „Hybridwerken“ umzufunktionieren, um in diesen auch Militärgüter zu produzieren. Ginge es nach dem Rheinmetall-CEO Papperger, könnten auch kriselnde Autowerke wie das VW-Werk in Osnabrück übernommen werden. Das steht bei VW auf der Streichliste. Eine tatsächliche Übernahme hängt aber noch von entsprechenden Aufträgen seitens der Bundesregierung ab.

Auch das deutsch-französische Joint Venture KNDS hat kürzlich vom französischen Zughersteller Alstom ein Waggonwerk in Görlitz erworben. Der Standort sollte eigentlich geschlossen werden. Nach der KNDS-Übernahme wird er aber umgerüstet, um Rohbaumodule für Wehrtechnik und Komponenten für Militärfahrzeuge zu produzieren, unter anderem für den Kampfpanzer Leopard 2 und den Schützenpanzer Puma. Noch 2025 soll die Transformation eingeleitet werden; KNDS sucht hierfür bereits kräftig nach Personal.

Daneben ist die von Pleiten geprüfte Werft in Wismar ist von Kieler U-Boot-Bauer Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) übernommen worden. TKMS wird sechs U-Boote für die Deutsche Marine und Norwegen bauen. Hier soll das Personal in den nächsten fünf Jahren von aktuell etwa 100 auf 1.500 Mitarbeiter aufgestockt werden. Noch 2025 sollen hierzu 100 und in den Folgejahren jeweils 300 Schiffbauer eingestellt werden.
Stellenboom in der Rüstungsindustrie: Wer wird gesucht?
Top 5 Rüstungshersteller nach Stellenausschreibungen
Quelle Inhalt: Index Research via FAZ
Grafik: WK Personalberatung
Gesucht werden vor allem für die Rüstungsindustrie wichtige Industrieberufe wie Maschinenbau, Betriebstechnik, Metallbearbeitung, Produktionsplanung sowie Unternehmensorganisation.
Die gefragtesten Berufsgruppen Januar bis Februar 2025 nach Anzahl der Stellenanzeigen
Quelle Inhalt: Index Research via FAZ
Grafik: WK Personalberatung
Und schließlich führen Kapazitätenausbau und Personalaufstockung bei den großen Rüstungskonzernen auch zu Wachstumsimpulsen bei ihren Zulieferern. Allein Rheinmetall plant, dieses Jahr Aufträge im Wert von fünf bis sechs Milliarden Euro an kleine und mittelständische Zulieferer zu vergeben. Für jeden direkten Arbeitsplatz bei Rheinmetall entstehen so laut Rheinmetall-Chef Papperger etwa drei weitere bei seinen Vorleistern. Auch dieser Multiplikatoreffekt wird sich verschärfend auf die Fachkräftesituation auswirken.
Auto2Defence: Von Autobauern zu Panzerbauern
Die in schwächelnden Branchen freiwerdenden Kapazitäten sollen auch zum Schließen der Personallücken in der Rüstungsindustrie genutzt werden. Besonders stark im Blick: Automobilhersteller und deren Zulieferer. So hat Rheinmetall bereits Mitte 2024 eine Absichtserklärung mit dem Zulieferer Continental abgeschlossen. Ziel der Vereinbarung ist, den wachsenden Personalbedarf bei Rheinmetall durch freiwerdende Continental-Mitarbeiter zu ersetzen. So sollen 100 Mitarbeiter des Continental-Standorts in Gifhorn an die 55 Kilometer entfernte Munitionsfabrik in Unterlüß abgegeben werden. Continental nutzt bereits seine unternehmenseigenen Fortbildungszentren, um seine Mitarbeiter auf ihre neuen Aufgaben bei Rheinmetall vorzubereiten.
Personalaufstockung einzelner Hersteller
Quelle Zahlen: RND, FAZ und T-Online
Grafik: WK Personalberatung
Auch der nahe München ansässige Radar- und Sensorspezialist Hensoldt will laut Reuters 200 Mitarbeiter von Continental und Bosch übernehmen. Hierzu wurden unter anderem den Mitarbeitern am Continental-Standort Wetzlar bereits die Beschäftigungsmöglichkeiten bei Hensoldt vorgestellt.
Die Grenzen der Branchenumschichtung: Warum es nicht so einfach ist
An sich eine gute Idee: Beschäftigte aus der schrumpfenden Automobilbranche weiterzubilden, um den wachsenden Bedarf in der Rüstung auszugleichen. Immerhin gleichen sich viele Tätigkeiten. Vor allem in der Produktion macht es erstmal keinen Unterschied, ob eine Fachkraft Karosserien für Autos oder gepanzerte Fahrzeuge herstellt. Im Hochtechnologiebereich sieht es schon etwas komplizierter aus, wie selbst Hensoldt-Chef Oliver Dörr einräumt.

Hinzu kommt, dass lange Sicherheitschecks die schnelle Expansion der Rüstungsunternehmen behindern. Denn: Ingenieure und andere Fachkräfte müssen in besonders sensiblen Bereichen mit geschützten Materialien für Panzer und Munition umgehen. Genau dafür ist eine Freigabe seitens der Behörden erforderlich. Und die kann bis zu einem Jahr dauern.


Erschwert wird die Personalsuche auch dadurch, dass die Branche zwar „raus aus der Schmuddelecke“ sei, wie die ehemalige Renk-Chefin Susanne Wiegand es ausdrückte, bei Rankings und Umfragen aber nach wie vor weniger gut abschneidet als in der Eigenwahrnehmung. Die Skepsis oder auch die ethischen Bedenken sind gegenüber der Branche zum Teil immer noch sehr viel größer also gegenüber anderen Bereichen – trotz der sehr guten Gehälter (Rheinmetall zahlt im Schnitt 93.000 Euro) und sehr guten Aufstiegsmöglichkeiten.